Big Picture – Die Wochenbilanz für aufgeklärte Anleger! Heute: Die Krise als Chance

Liebe Leser,

alt eingesessene Börsianer haben es in diesen Zeiten leicht. Die Neueinsteiger und diejenigen ohne mehrfache Crasherfahrung dagegen haben es recht schwer.

Natürlich kann schon an dieser Stelle behauptet werden, dass Erfahrung ja immer einen Vorteil mit sich bringt, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Richtig und wichtig ist nicht allein die Erfahrung, sondern die Schlussfolgerungen, welche daraus gezogen wurden. Anhand der Finanzkrise von 2008 konnte dies schon sehr schön beobachtet werden: So mancher alte Hase hatte prognostiziert, dass es viele Jahre dauern würde, eh die Welt wieder zu alter Stärke zurückfinden würde. Es kam alles ganz schnell ganz anders. So wird es auch diesmal sein.

Wer gewinnt, wer verliert?

Die Herausforderung aus der Corona-Crise ist denn auch nicht allein die Frage, wann alles vorbei ist und wie die Welt dann aussieht, sondern was wir daraus lernen. Und bitte jetzt nicht antworten „Dass wir uns alle die Hände waschen und Abstand halten müssen“! Nein, die Antwort lautet aus dem Blickwinkel des großen Ganzen, dass wir mehr verstehen sollten, wie die Zusammenhänge zwischen Bevölkerungswachstum, Konsum, Wirtschaft, Medien und Natur ineinandergreifen. Corona ist kein Einzelfall, sondern Trend, und das seit tausenden Jahren. Also zitiere ich hier einmal Steve Jobs: “Innovation distinguishes between a leader and a follower.”

Übertragen auf die aktuelle Börsensituation bedeutet dies: Menschen und Unternehmen, die erkennen, dass auch (oder gerade) in dieser Krise mehr Chancen als Risiken stecken, werden am Ende diejenigen sein, die die Welt nach vorne bringen. Und die Börse hat bereits mit der Sondierung und Sortierung angefangen. Dieser Prozess ist knallhart und dauert lange, aber er zeigt auch: Diejenigen, die sich jetzt neu erfinden, werden überleben. Diejenigen, die am „gestern“ festhängen, werden verschwinden.

RWE und E.ON erfinden sich scheibenweise neu

In dieser Woche hatten z. B. die großen Versorger E.ON und RWE ihre Zahlen auf den Tisch gelegt. In den Köpfen der Verbraucher erscheinen dann sofort Bilder von Atomkraftwerken und Garzweiler II. Richtig ist aber, beide Konzerne bauen massiv um, malen sich von Jahr zu Jahr mehr grüne Farbe auf ihr Image und das kommt nicht nur an, sondern wird auch belohnt. RWE ist z. B. seit dem Tief vom 22. März um 35% (!) gestiegen und dürfte auch weiter zulegen, denn grüner Strom wird auch in und nach Krisenzeiten dringend benötigt.

Wer mehr Innovation sucht, dem haben wir in dieser Woche NextEra Energy vorgestellt, einen US-Versorger mit großer Perspektive, wenig Risiko und solidem Ertragsmodell. Und wer wirklich in die Energiewende langfristig investieren will, kauft selbst auf dem aktuellen Kursniveau eine Tesla! Richtig gelesen, den E-Auto Pionier. Warum? Weil Tesla schon lange kein Autohersteller mehr ist, sondern Autos lediglich als Instrument einer höhergesetzten Mission einsetzt. Dazu werden wir nächste Woche eine etwas ausführlichere Analyse präsentieren. So viel vorab: In 15 Jahren werden wir uns ärgern, dass wir bei 800 Dollar je Aktie nicht Haus und Hof eingesetzt haben.

Facebook will Afrika ans Netz holen

Eine ähnliche Entwicklung können Sie aktuell in Presse verfolgen: Facebook beabsichtigt, ein 37.000 km langes Kabel rund um den afrikanischen Kontinent zu legen! Das Projekt heißt 2Afrika (erinnert uns etwas an den Film „Out of Africa“) und Ziel des Unterfangens ist die bessere Versorgung Afrikas mit Internetzugängen. Genial oder völlig bekloppt? Gibt es im Jahre 2020 denn keine elegantere Lösung als ein Kabel wie vor 165 Jahren durch den Atlantik? Offensichtlich nicht, und der Verfasser dieser Zeilen ist auch nicht hinreichend im Thema versiert um das zu beurteilen, aber allein die Idee packt uns schon: Eine Social Media Plattform übernimmt die Aufgabe eines Versorgers und man darf fragen, wie sich dies auf die Pläne (und den Aktienkurs) von Facebook auswirken wird.

Mit der Kryptowährung „Libra“ hatte sich Mark schon mächtig aus dem Fenster gelehnt, aber nun ein Kabel rund um einen Kontinent, um alle Afrikaner auf Facebook zu locken? Sicher, Energie und Internet können Wohlstand erzeugen und Wohlstand bringt Werbeeinnahmen. Braucht es jetzt nur noch Strom überall auf dem Kontinent, damit das Kabel auch genutzt werden kann.

Mehr gesunde Ernährung

Einen weiteren Effekt durch Corona: Wir achten wieder mehr auf unserer Gesundheit. Nicht nur die Deutschen, sondern alle auf der Welt. Es wird mehr gesportelt (mal sehen, ob das anhält, wenn wir wieder alle ins Büro müssen – müssen wir das überhaupt oder bleibt es auch in Zukunft bei einer vergleichsweise hohen Home Office Aktivität?), und es wird gesünder gegessen. Wenn schon in Zukunft Fleisch, dann gutes (und teures) Fleisch und dazwischen gern auch einen Burger von Beyond Meat.

Knapp 70% ist der Kurs des fleischlosen Burgerherstellers seit März geklettert (siehe unsere Artikel dazu) und es darf spekuliert werden, inwieweit Corona uns in unserem Ernährungsverhalten nachhaltig verändert. Und das der Chinesen! Denn selbst dort beginnt das große Umdenken in der Frage, wofür in Zukunft Geld ausgegeben werden soll: „Wenn ich vom Tiermarkt um die Ecke mir einen Virus einfangen kann, überlege ich vielleicht doch lieber, den Beyond Burger zu verspeisen“.

Das sind nur drei aktuelle Beispiele die zeigen: Denken wir ab heute mal lieber über die Zeit nach Corona nach und ärgern uns nicht täglich über den Unsinn, den wir aus unserer Hauptstadt ertragen müssen!

Die Deutschen sind wieder zu pessimistisch

Springen wir nun zur Lage auf dem Parkett und das, was uns kommende Woche erwartet. Laut einer Innofact-Umfrage im Auftrag von Verivox ist die Stimmung unter den Anlegern derzeit alles andere als positiv. Nach der Erholungsphase der letzten Wochen glaubt über die Hälfte der Deutschen, dass die Kurse noch tiefer fallen werden. Nur eine Minderheit (16%) rechnet damit, dass sich die Kurse innerhalb des Jahres weiter erholen, 22% stellen die Geldanlage an der Börse grundsätzlich in Frage. Eine deutliche Mehrheit von 61% geht davon aus, dass es bis fünf Jahre dauern wird, bis die Börsen wieder ihr Vor-Krisen-Niveau erreichen und 11% sind der Ansicht, dass es sogar noch länger dauert. Und 12% glauben überhaupt nicht an eine vollständige Erholung.

Ist das nicht unglaublich? Denn übertragen auf unsere wirtschaftliche Zukunft bedeutet dies, dass die Mehrheit der Deutschen davon ausgeht, dass wir 5 Jahre warten müssen, bis unser Leben und Treiben wieder alte Niveaus erreichen wird! Fünf Jahre! Fünf Jahre weniger Urlaub, weniger Essen, weniger Auto, Strom, weniger shoppen, weniger fast alles. Glauben wir das denn wirklich?

Amerika geht einen anderen Weg

Denn die Börse ist ja nichts anderes als ein Spiegelbild unserer Aktivitäten in der Wirtschaft. Also, Mutti Merkel, wir hoffen, dass du diese Zahlen einmal richtig deutest, denn wenn dem so ist, dann wähle ich dich noch einmal, allein damit ich zusehen darf, wie du unser Land fünf Jahre lang wieder reparieren wirst. Aber ich gebe dir einen Rat: Mach es wie die Amis! Die verschenken nämlich gerade viel Geld an ihre Bürger. So haben es die Damen und Herren beider Parteien in Washington soeben beschlossen. Konkret:

  • Fast 1 Bill. Dollar Direkthilfe für die Bundesstaaten
  • Eine zweite Runde von Direktzahlungen i.H.v. 1.200 Dollar an Einzelpersonen mit bis zu 6.000 Dollar pro Haushalt (!)
  • 200 Mrd. Dollar für Gefahrenzulagen für wichtige Arbeitnehmer
  • 75 Mrd. Dollar für Covid-19-Tests
  • Eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitslosenversicherungsleistung in Höhe von 600 Dollar pro Woche bis Januar (derzeit bis Juli)
  • 175 Mrd. Dollar für Unterstützungen bei Miet-, Hypothek- und Versorgungsleistungen
  • Aufhebung der Obergrenze von 10.000 Dollar für staatliche und lokale Steuerabzüge für zwei Jahre, was zwar der Haushaltskasse bestimmter Staaten helfen würde, aber den Steuerzahlern mit höherem Einkommen am meisten zugute kommt
  • 10 Mrd. Dollar Katastrophenhilfe für kleine Unternehmen

Das ist mal ein (zweites) Hilfspaket, Herr Scholz! Eines müssen wir den Amerikanern ja lassen: die kleckern nicht, die klotzen! Es sind aber eben auch solche Maßnahmen, welche die Börse dazu veranlassen, mit etwas mehr Zuversicht nach vorne zu blicken. Denn es braucht nur einen Taschenrechner, um so in etwa auszurechnen, wie dieses Geld in die Wirtschaft fließt und dort die Erholung stützt. Nur eines sollte jetzt nicht passieren: Dass ein um sein Amt bangender Präsident Trump gerade jetzt wieder anfängt, mit den Chinesen einen neuen Handelsstreit anzuzetteln!

Zwischenkorrekturen in der Aufwärtsbewegung sind normal

Das ist es auch, was die Kurse in der kommenden Woche etwas bremsen dürfte. Ohnehin erkennt der eingangs erwähnte alte Hase: Nach über 30% Kursgewinn vom Krisentief geht dem Markt etwas die Puste aus. Keine Sorge, das ist normal! Und auch das ist eine Chance, gerade für alle, die bislang noch gezögert hatten, einzusteigen. Denn jetzt wissen Sie:

Die aktuelle Lage ist nichts anderes als der Auftakt zu sehr viel Bewegung, Entwicklung und neuen Ideenreichtum für die kommenden Jahre. Daran teilzuhaben ist eine Aufgabe, der Sie sich nicht entziehen sollten. Und damit zitiere ich hier noch einmal Steve: „Just get rid of the crappy stuff and focus on the good stuff.“

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