Könnte Nikola die nächste Wirecard werden?
Es sind gereizte Zeiten an den Börsen. Zum einen gilt es, die Kollateralschäden der Pandemie richtig einzupreisen mit Rettungsaktionen wie TUI oder Lufthansa. Zeitgleich entstehen neue Geschäftsmodelle aus dieser Krise heraus, deren Kurse durch die Decke gehen. Aber andere Stories fliegen uns gerade um die Ohren, siehe Wirecard. Was für ein Durcheinander. Und vor lauter Auf und Ab schwirrt einem an manchen Tagen der Kopf. Gerade dieser Fall lässt die Wachsamkeit ansteigen! Gibt es noch andere Luftnummern im Markt?
Es werden ja auch gerade ziemlich viele Säue durchs Dorf gejagt. Eine Sau ist die amerikanische Nikola, Noch-Nicht-Hersteller von Brennstoffzellen-LKW. Kein einziger Truck ist jemals einen Meter gefahren. Doch die Hoffnungen und Erwartungen haben den Wert des Unternehmens zeitweise über den von Ford und GM geschoben. Kommt euch bekannt vor?
Nikola vor Verkaufswelle?
Natürlich ist die Story gut. Und natürlich finden auch wir sie richtig. Und wenn einmal ein Truck auf die Straße rollt, sind wir auch gern dabei. Aber uns interessiert gerade etwas anderes: Was machen die Erstinvestoren eigentlich, jetzt, wo die SEC die Freigabe zum Verkauf aller PIPE-Investment auf der Agenda hat? PIPE bedeutet Private Investment in Public Equity, also Private Placements. Das sind jene Investoren, welche als erstes Geld in Nikola investiert haben und nun nach Ablauf der Sperrfrist nach dem Börsengang ihre Aktiengewinne einlösen dürfen.
Es geht um 53.390.000 Aktien im Zusammenhang mit der PIPE-Finanzierung zu 10 Dollar und 23.890.000 Aktien im Zusammenhang mit der Ausübung von Optionsscheinen. Werden diese Aktien zum Verkauf gestellt, entsteht hoher Verkaufsdruck. Noch hält die Aktie sich über 70 Dollar, denn die Nachfrage durch den Hype ist momentan noch stärker als der Wille der PIPE-Investoren, Kasse zu machen.
Eine tickende Zeitbombe
Doch von den Dutzenden von Fonds, die an der PIPE beteiligt waren, planen fast alle, ihren gesamten Anteil zu verkaufen, um die Gewinne zu sichern. Dazu gehören Namen wie Blackrock und Fidelity, bekannte und angesehene Fonds in der Branche. Von den 67,7 Millionen Aktien, die von diesen Unternehmen gehalten werden, werden alle bis auf 15,2 Millionen die Absicht haben, zu verkaufen.
Die extrem hohen Kreditzinsen für Leerverkäufe von Nikola-Aktien und die hohen Prämien für Put-Optionen deuten darauf hin, dass eine große Nachfrage zur Absicherung von Long-Positionen bei Nikola besteht. Dies ergibt nur Sinn, wenn es ausreichende Hinweise darauf gibt, dass die Erst-Aktionäre bei der ersten Gelegenheit verkaufen.
Von diesen 15,2 Millionen nicht verkauften Aktien halten die Fonds ValueAct und VectoIQ 11,3 Millionen Stück. Cowen Investment plant, alle 1,9 Millionen seiner Aktien zu halten, was zumindest im Einklang mit dem Kursziel des Unternehmens von 79 Dollar steht. Aber dann muss man fragen, wer Recht hat? Ein Unternehmen mit einem Ziel von 79 Dollar und einer Handvoll anderer Investoren, die bereit sind, einige oder alle ihrer Aktien zu behalten, oder Dutzende bekannter Fonds, die planen, ihre 10-Dollar-PIPE-Aktien bei der ersten Gelegenheit mit hohen Gewinnen abzuwerfen?
Kapitalerhöhung voraus?
Angesichts des erheblichen Bargeldbedarfs von Nikola könnte sich Cowen Investment so als „Bookrunner“ für eine zukünftige Finanzierung positionieren. Privatanleger, die aktuell zu einem hohen Kurs kaufen, müssen sich also nicht nur Sorgen über die bevorstehende Erhöhung des Free Floats machen, sondern auch über zukünftige Kapitalerhöhungen, die zu einer weiteren Verwässerung der Aktie führen.
Fazit: Nein, Nikola ist sicher nicht Wirecard. Aber Nikola gehört kritisch betrachtet. Auch wir sind gern dabei, aber sobald wir erkennen, dass jemand bemüht ist, die Luft aus der Story zu lassen, sind wir auch ruck-zuck wieder draußen. Denn es gibt ausreichend andere Stories, die berechenbarer sind.
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